Schiller im Hier und Jetzt mit „Future“
„Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.”
Albert Einstein
Die Zukunft hat sich verändert, seit wir sie das letzte Mal teilten. Denn wir sind unruhig geworden. Und es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass wir in der Hypergegenwart des Digitalen zu vergessen beginnen, was eigentlich unsere eigene Geschichte ist — die eigene Geschichte des Individuums, die auf Erfahrungen fußt und die das Abenteuer sucht, die Leidenschaft kennt und wahre Worte findet für… die eigene Geschichte.
Die Dichter, die Künstler und die Musiker stehen sinnbildlich für das Aufbäumen gegen den Lauf der Zeit, ihnen kam in der Vergangenheit stets die Aufgabe zu, eine denkbare Alternative, eine eigene Geschichte oder gar das Licht anzubieten. Als Ausweg oder als Ausblick. Es scheint wie eine Fügung, dass das neue Album „Future“ des deutschen Elektronikmusikers Schiller ausgerechnet in diesen Tagen erscheint.
Schiller: „Die Zeit vergeht so schnell, und die Zukunft ist so wertvoll. Ob das nun die Zukunft als Lebensgefühl ist oder ob wir unsere eigene Sandkorn-Zukunft spüren, die wir in der noch verbleibenden Zeit unseres Lebens gestalten möchten. Dazu brauchen wir ein wenig Ruhe, Gelassenheit und Neugier. Ich würde mich freuen, wenn ‚Future‘ der Soundtrack für diese Reise sein kann.“
Vielleicht musste Schiller von Berlin, wo er zuvor 16 Jahre lang gerne gelebt hat, vor zwei Jahren nach Kalifornien ziehen, in die unberührte Natur der Wüste, um seinem eigenen Werk ein kraftvolles neues Kapitel hinzuzufügen — die Wüste ist ein Ort der Abgeschiedenheit und der Naturverbundenheit, ein Ort, so Schiller, „an dem der Mensch im besten Falle etwas Neues und trotzdem Ursprüngliches findet oder vielleicht sogar zu sich selbst.“
Mojave–Wüste, vier Uhr Ortszeit
Er spricht am Telefon, vom anderen Ende der Welt. Es ist kurz nach vier Uhr morgens Ortszeit in der Mojave–Wüste, bald wird die Sonne aufgehen. Schiller ist gerade aufgestanden. Das ist sein neuer Rhythmus, im Einklang mit der Natur und mit den Sternen: „In Berlin begann sich mir eine gewisse Komfortzone zu präsentieren, die meine Neugier zunehmend im Zaum gehalten hat. Daraufhin fand ich glücklicherweise den Mut, einen grundlegenden Schritt zu gehen. Und der sah dann so aus, dass ich meinen Besitz aufgelöst habe, um eine umfassende Form der Freiheit wiederzugewinnen. Die Neugier hat gesiegt.“
Press Play
Das Album „Future“ beginnt mit einem intensiven Monolog der 17-jährigen Sängerin Kéta Jo McCue. Schiller ist ihr in Los Angeles begegnet und hat sie eingeladen, den Titelsong einzusingen: „More love…That’s it! That’s the meaning of life. Yes, I’m very hopeful for the future.“ Ihre Worte spricht Kéta über ein beruhigendes, nach Fernweh klingendes Rhythmus-Motiv.
Und sogleich bricht eine Woge großer, kraftvoller Synthesizer-Melodiebögen über die Stimmung hinein, wie sie nur Schiller imstande ist, aus den Maschinen zu befreien, und Kéta beginnt mit sehnsuchtsvoller Stimme zu singen: „Can I have a future / Before I disappear?“
Auch die folgenden Tracks des Albums leben von der bereits im Titelsong austarierten Balance zwischen minimalistischen Soundräumen und großen emotionalen Überwältigungsmomenten, welche die universale Sprache der elektronischen Musik im besten Fall zu bieten hat.
Damit ähnelt Schillers Ansatz, Musik zu machen, dem eines Filmregisseurs. Rhythmus, Struktur, Spannungsbogen, Tempo, Dramatik, Sonnenuntergang — die Zukunft ist es wert, sich ihr nicht nur zu stellen, sondern sie als Traum, als Vision auch musikalisch zuzulassen. Man stelle sich zu „Future“ einen Film im Kopf vor. Den eigenen Film. Mit großen Weitwinkel-Schwenks, überraschenden Schnitten und Wendungen.
Der Film im Kopf
Schiller: „Ich liebe Filme, und ich denke in den Erzählungen des Kinos. Man kann sich das Album von Anfang bis Ende durchhören, der Hörer wird mitgenommen auf eine Reise durch Stimmungen, Gefühle und Landschaften.“
Tatsächlich kann man „Future“ wie eine einzige, lange Suite erleben, wenn man sich die Doppel-CD komplett anhört: „Future“ ist ein Crescendo, das sich Song für Song, Bewegung für Bewegung, immer weiter aufbaut, bis das Album schließlich mit der existentiellen Ballade „For You“ ausklingt.
Eben dieses sich langsam aufbauende Finale singt der Kanadier Thomas Tawgs Salter, ein in seiner Heimat sehr erfolgreicher Singer-Songwriter. Neben Arlissa, Kéta, Emma Hewitt, und Cristina Scabbia von Lacuna Coil ist er eine neue Stimme unter den musikalischen Gästen auf „Future“. Hollywood-Ikone Sharon Stone hat den Text zu „For You“ geschrieben, einer ebenso stolzen wie empathischen Ballade.
Schiller: „Sharon Stone kannte überraschenderweise meine Musik. Ihr Agent meldete sich bei mir und fragte, ob ich zu ihrem Text nicht ein Lied komponieren wolle. Das war natürlich ebenso surreal wie spannend. Dabei war es eine seltsame Zusammenarbeit, denn obwohl ihr das Ergebnis scheinbar gefällt, haben wir uns nie gesprochen. Aber vielleicht musste das auch so sein: Sharon Stone hat ja schon immer eine Aura des Geheimnisvollen, Unnahbaren umweht.“ — wie Gloria Swanson in Billy Wilders ‘Boulevard der Dämmerung’.“
Ein anderer Song auf „Future“ trägt den deutschsprachigen Titel „Es ist voller Sterne“. Schiller beschwört in dem entschleunigten Instrumentaltrack die Anwesenheit einer Abwesenheit als den größten denkbaren Kontrast zum nächtlichen Licht-Smog der Großstadt.
Die erste Single–Auskopplung „Paradise” wird von der wehmütigen Stimme von Schiller’s Neuentdeckung Arlissa getragen. In dem Track „Schwerelos“ lässt Schiller die Zeit stillstehen, er schwelgt in epischen Hallräumen, öffnet die Tür zur romantischen Überhöhung und die Musik weitet sich zur ausholenden, melodischen Geste. Indem baut er eine Brücke zu den großen elektronischen Scores der Filmgeschichte und zum Science-Fiction-Film. Erinnerungen an gemeinsam gesehene Filme könnten der sanfte Taktgeber dieses Albums gewesen sein.
Und das ist das Faszinierende an „Future“: Schiller gelingt die Postulierung einer gemeinsamen, optimistischen Zukunft — die durch das gemeinsam miteinander Erlebte verbunden wird.