Heinz Rudolf Kunze ist der Meinung "Das Paradies ist hier"
Martin Huch
Freitag, den 12. Februar 2016 um 15:00 Uhr
Neue Single

Heinz Rudolf Kunze stellt klar „Das Paradies ist hier“

Heute erscheint nicht nur das neue Album von Heinz Rudolf Kunze mit dem klangvollen Namen "Deutschland", sondern auch die neue Single "Das Paradies ist hier".

Das Paradies ist hier“, die erste Single, ist zweifellos einer der Songs des Albums mit dem stürmischsten Pop-Appeal, aber zugleich auch einer mit einer klaren Botschaft. Wir dürfen uns die Lebensfreude und die Zuversicht nicht nehmen lassen, auch nicht angesichts der schrecklichen Auswüchse des Terrorismus, die nach den Anschlägen in Paris ein noch größeres Maß an Bedrohung angenommen haben. „Paradies“ bildet gewissermaßen den Auftakt zu den politisch konnotierten Songs des Albums, zu dem auch „Jeder bete für sich allein“ zählt. „Ich halte es für eines der politischsten Lieder, die es momentan gibt in deutscher Sprache“, findet Kunze selbst. Stilistisch dem klassischen Prog-Rock im Fahrwasser von King Crimson und Gentle Giant zuzuordnen, wendet sich Kunze in dem Song gegen die zunehmende Aggressivität, mit der Religionen respektive Religionsführer heutzutage auftreten. Wenn Religion zur Privatsache würde, so seine These, gäbe es auch weniger Konflikte. Auch wenn dieses Plädoyer für die Privatisierung von Religion ein wenig utopisch klingen mag, für reichlich Diskussionsstoff und Reflexion könnte „Jeder bete für sich allein“ auf jeden Fall sorgen.

Das gilt auch für den Titelsong, eines der wohl funkbetontesten Stücke, die Kunze und seine Band Verstärkung jemals aufgenommen haben. „Deutschland“ liefert jedenfalls viele Denkanstöße – es ist ein Land, das sich im Gegensatz zu Italien, England und Frankreich schwer tut mit seiner nationalen Identität. Da ist die Bürde der Geschichte, die noch immer schwer zu wiegen scheint, aber es fehlt auch bei anderen Themen an Selbstverständnis. Die Flüchtlingskrise, die Kunze als „die größte Herausforderung“ für unser Land bezeichnet, hat die Situation nicht einfacher gemacht. Einerseits hat die beispiellose Willkommenskultur nahezu weltweit viel Bewunderung hervorgerufen, andererseits sind die fremdenfeindlichen Übergriffe sprunghaft angestiegen. Das Land scheint gespalten. „Man muss für die Ratlosigkeit und Sorge der Menschen Verständnis haben. Das hört dann aber auf, wenn sie Rattenfängern nachlaufen“, beurteilt Kunze die derzeitigen Montagsdemonstrationen. „An der Flüchtlingskrise entscheidet sich die Zukunft Europas als handlungsfähiges gemeinsames Konstrukt. Wenn das Deutschland alleine ausbaden soll, dann ist Europa am Ende.“ Kunze ist selbst als Flüchtlingskind in einem Lager in Deutschland geboren, für ihn war es selbstverständlich Gebot und innere Pflicht, selbst zu helfen. Mit seiner Charity-Initiative „Musik hilft“, die Instrumentenspenden für Flüchtlinge sammelt und die mittlerweile vom Deutschen Roten Kreuz unterstützt wird, will er auch der Untätigkeit entgegenwirken, zu der die Flüchtlinge, wo immer sie auch untergebracht sind, genötigt sind. „Deutschland, Deutschland, gemütlich lässt du’s krachen, weil deine Waffen und dein Geld Weltbrände mitentfachen“ – es sind Textzeilen wie diese, die „Deutschland“ zu einem gesellschaftlich relevanten Song machen, die zu Kontroversen anregen; und Textzeilen wie „Jeder gute Deutsche hat sich an dir gerieben, denn so einfach ist es nicht dieses Land zu lieben“ beschreiben pointiert das Lebensgefühl in diesem Land. „Mich wundert es, wie relativ wenige Kollegen sich an solche Themen heranwagen“, räumt er ein. „Es gibt ganz viele Sänger, die in politischen Talkshows Stellung beziehen, aber in ihrer eigenen Arbeit solche Themen selten abhandeln. Die meisten haben da doch große Berührungsängste.“

Heinz Rudolf Kunze – „Deutschland“
Martin Huch

Heinz Rudolf Kunze hat indes weniger Probleme, auch mal provozierend zu wirken, sei es in dem Rocksong „Immer noch besser als arbeiten“, bei dem sich so etwas wie lakonische Kapitalismuskritik herauslesen lässt, oder in „Die Letzten unserer Art“, einem Bluesrock wie weiland Mitch Ryder, in dem sich Kunze über das Scheitern an den eigenen jugendlichen Idealen auslässt. „Es wäre schön, wenn ich in diesem Fall nicht Recht behalte und es immer wieder Generationen mit neuen kämpferischen Idealen gibt.“

Es geht aber musikalisch und inhaltlich bisweilen wesentlich lockerer zu. „Setz dich her“ ist ein typisches Trostlied, ein Liebes- und Freundschaftsbeweis, wenn Not am Mann ist, wie man so schön sagt. „Das ist mein Eagles-Moment“, so Kunze über den Song, dessen herrlicher Gitarren-Twang auch an Springsteen erinnert. „Nur eine Fotografie“ kommt als behutsam instrumentierter Chanson über einen Verlust daher, während „Mund-zu-Mund-Beatmung“ mit dem Überschwang eines Pop-Schlagers aufwartet – eines der schrillsten Lieder über die Kunst des Küssens. Rührend pittoresk dagegen klingt das Hohelied „Auf meine Mutter“ und fast philosophisch der von Prefab Sprouts „The Old Magician“ inspirierte Song „Ein fauler Trick“, der einen alten Künstler porträtiert, der den Illusionen seiner Kunst nicht mehr traut.

Heinz Rudolf Kunze, nimmermüder und wandelbarer Kulturschaffender Deutschlands, hat seinem Heimatland ein Album gewidmet, das es verdient hat, weite Kreise zu ziehen. Dabei ist es auch der Künstler selbst, der immer wieder überraschend neue Kreise zieht und sich auf immer wieder neue künstlerische Herausforderungen einlässt. In diesem Jahr war er erstmals mit einem Soloprogramm unterwegs, das neben Songs auch viele scharf pointierte Wortbeiträge enthält, bei denen sich Kunze als profunder, an Hanns Dieter Hüsch geschulter Kabarettist erweist. Mit seiner Band Räuberzivil hat er im Frühjahr dieses Jahres mit dem Doppelalbum „Tiefenschärfe“ das Opus magnum dieser Formation an den Start gebracht. Darüber hinaus hat er in den letzten Jahren regelmäßig Bücher veröffentlicht, neben etlichen Gedicht- und Prosabänden zuletzt den experimentellen Roman „Manteuffels Murmeln“, mit dem er, begleitet von dem Musiker Jan Drees, auch auf musikalischer Lesereise war. Er hat mit Erfolg Shakespeare-Stücke für moderne Musicals ins Deutsche übertragen und mit „Quentin Qualle“ eine Kinderbuchserie ins Leben gerufen. Es ist mehr als erstaunlich, auf welch unterschiedlichen kulturellen Feldern dieser Künstler seine Blüten treibt. Dass er als Rockmusiker mit „Deutschland“ auch auf große Deutschlandtournee gehen wird, steht außer Frage – allerdings muss man sich noch bis zum Herbst 2016 gedulden, bis es soweit ist. Bis dahin dürften viele Songs des neuen Albums nicht nur eine große Hörerschaft erobert, sondern im besten Fall auch Gesprächsrunden eröffnet haben. Diskussionsstoff bietet Heinz Rudolf Kunze mit „Deutschland“ jedenfalls mehr denn je.

Textquelle: RCA Deutschland